Menschenrechte in Sicht?

Die Fast Fashion Industrie hat sich über die letzten beiden Jahrzehnte zum marktbestimmenden Format entwickelt. Schnelligkeit, Flexibilität und Dumpingpreise haben dies ermöglicht: Ein Resultat der Vertikalisierung der großen Brands – der vollständigen Kontrolle der eigenen Lieferketten. Große Konzerne wie Inditex oder die H&M Group verfügen in „ihren“ Fabriken – ob sie nun wirklich zum Konzern gehören oder vor allem durch die Brand ausgelastet sind, spielt dabei einen nebensächliche Rolle – über großen Einfluss und können dementsprechend mitbestimmen. Die Einkaufspraxis der Unternehmen beeinflusst dabei die Bedingungen vor Ort und die Einhaltung von Menschenrechten grundlegend.

 

Kurzfristige Änderungen an den Bestellungen, keine sichere Abnahme der Gesamtorder, kostenlose Inanspruchnahme von Lagerfläche und die Prämisse, sämtliche Zutaten wie Knöpfe oder Reissverschlüsse ständig zur Auswahl auf Lager haben zu müssen, sind nur einige Beispiele dafür, was mittlerweile von den Nähereien – auf eigene Kosten – verlangt wird. Hinzu kommen die beiden ausschlaggebendsten Faktoren: Lieferzeiten werden zu kurz, Bezahlungen zu gering veranschlagt. Das Hauptrisiko liegt damit nicht mehr bei den einkaufenden Unternehmen, sondern wird auf die Produktionsstätten abgewälzt.

 

Die Folgen daraus sind unbezahlte Überstunden, Doppelschichten und das Einschalten von Subunternehmen, weil die Aufträge zeitlich nicht anders bewältigt werden können. Wenig oder keine Pausen, Akkordarbeit, Maschinenlärm, hohe Temperaturen und stickige Luft führen zu gesundheitlichen Schäden und erhöhen die Unfallgefahr drastisch. Die ArbeiterInnen bekommen dabei oftmals noch nicht einmal den staatlichen Mindestlohn gezahlt, geschweige denn einen Lohn, der tatsächlich zum Leben reicht. Marode Gebäude, zugestellte Fluchtwege oder abgeschlossene Fabrikräume, damit die ArbeiterInnen ihren Platz nicht verlassen können, sind weitere Konsequenzen aus Zeitdruck und Geldmangel.

 

Ob Wohnzimmer-Akkordarbeit in Bulgarien, Kinderarbeit in Rumänien, Gebäudeeinstürze in Bangladesch oder moderne Sklaverei in Tamil Nadu: Alle Formen der Menschenrechtsverstöße und Ausbeutung entlang der textilen Lieferkette gehen Hand in Hand mit der Einkaufspraxis großer Unternehmen. Sie übernehmen nicht nur wenig oder keine Verantwortung, sondern spekulieren vielmehr mit Verstößen gegen Arbeits- und Menschenrechte. Denn: Was auf Kosten anderer Ländern, anderer Menschen oder der Umwelt geht, geht nicht auf die eigenen. Natürlich tragen sie dabei nicht die alleinige Verantwortung, schließlich ist es immer ein Konglomerat aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Dennoch sitzen sie nicht nur am längsten Hebel – sondern tragen auch den größten Profit davon.

 

Im Laufe der letzten Jahre hat sich vor allem ein Tool als unwirksam herausgestellt, um an dieser Misere etwas zu ändern: Freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Dabei mangelt es weder an Nachhaltigkeitsberichten, CSR Managern oder wohlklingenden Firmenphilosophien, die Mensch und Umwelt an erste Stelle setzen. Vielmehr mangelt es an der Umsetzung all dieser Versprechen. Statt Verpflichtungen auf freiwilliger Basis sind daher verbindliche Regelungen notwendig, die echte Konsequenzen für Unternehmen mit sich ziehen.

 

Des Weiteren gibt es genügend nationale Gesetze in den betroffenen Produktionsländern – gegen Kinderarbeit, Sklaverei, Ausbeutung, übermäßige Überstunden, Diskriminierung et cetera – die ein gutes und sicheres Arbeitsverhältnis und die Achtung der Menschenrechte garantieren könnten. Doch auch hier fehlt die Umsetzung, weil die Regierungen in Ländern des globalen Südens oft nicht in der Lage sind, diese Gesetze einzufordern. Hohe Korruption, Nepotismus, mangelnde Kapazitäten, starke Wirtschaftslobbies und politische Unsicherheiten sind dabei die größten Hinderungsgründe. Ein Blick auf Bangladesch, dessen Umsatz mit Textilen 80% des Gesamtumsatzes ausmacht, verdeutlicht den Stellenwert und Einfluss, den eine einzige Branche auf ein gesamtes Land haben kann.

 

Hinzu kommt, dass sich unsere Wirtschaftsrealität in den letzten Jahren grundlegend geändert hat. Mittlerweile werden über 60% aller Produkte in globalen Lieferketten hergestellt, was dazu führt, dass nationale Gesetze schlichtweg zu kurz greifen und die global einkaufenden Unternehmen nicht zur Rechenschaft ziehen können. Vielmehr braucht es daher transnationale Rahmenbedingungen, die diese Realität abbilden und alle Involvierten entlang der Lieferkette, also auch die einkaufenden Unternehmen, in den Blick nimmt. Egal, wo der Firmensitz liegt.

 

2011 wurden mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ein erster wichtiger Schritt getan, den globalen Handel menschenrechtsbasiert aufzustellen. Die Empfehlungen der Leitprinzipien wenden sich and Staaten und Unternehmen, ihre Schutz- und Sorgfaltspflichten wahrzunehmen und etablieren des Weiteren die Notwendigkeit der Klagemöglichkeit von Geschädigten und Opfern. Im Anschluss an die Guiding Principles wurden zwei Entwicklungen angestoßen: Zum einen wurden auf nationaler Ebene Aktionspläne der einzelnen Länder entworfen, zum anderen wurde auf internationaler Ebene die Ausarbeitung eines Abkommen (UN Treaty) angestrebt, der die Empfehlungen in verbindliche Strukturen überführt.

 

In Deutschland wurde der Nationale Aktionsplan (NAP) Ende 2016 veröffentlicht, ohne jedoch verbindliche Gesetzgebungen hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten für Unternehmen zu etablieren. Vielmehr wurde hier weiterhin auf eine freiwillige Sorgfaltspflicht gesetzt und somit alles beim Alten belassen. Sollten sich jedoch bis Ende 2020 keine faktischen Änderungen ergeben – mindestens die Hälfte aller großen deutschen Unternehmen müssten dafür nachhaltige Kriterien nachweisen können – wird über ein mögliches Gesetz nachgedacht. Andere Länder sind Deutschland dagegen schon weit voraus. 2015 wurde der Modern Slavery Act, der sich gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei wendet, in Großbritannien eingeführt. Vor zwei Jahren verabschiedete Frankreich ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette, und erst kürzlich wurde in den Niederlanden ein Gesetz erlassen, das die Unternehmen dazu verpflichtet, Kinderarbeitsrisiken in ihrer globalen Produktion zu überprüfen und auszuschließen. Auch wenn diese Gesetze noch nicht allumfassend oder perfektioniert sind, zeigen sie dennoch eins: Gesetzliche Regulierungen für die eigene Wirtschaft sind nicht nur möglich, sondern schaffen auch ein level playing field für Unternehmen.

 

Die Entwicklungen auf internationaler Ebene, ein verbindliches gemeinsames Abkommen aufzustellen, gestalten sich hingegen ebenfalls als langwierig und mühsam. Acht Jahre nach der Verabschiedung der UN Leitprinzipien gibt es mit dem Zero Draft einen Erstentwurf des UN Treaties, der bis Ende des Jahres kommentiert werden kann. Diese Anmerkungen werden dann in einem nächsten Schritt von der internationalen Arbeitsgruppe der UN, die für den Entwurf verantwortlich ist, aufgenommen. Auch in diesem Entwurf, der sich eng an den drei Säulen – Schutz, Achtung, Abhilfe – der Leitprinzipien orientiert, wird deutlich, dass es nicht nur verlässliche Gesetzgebungen braucht, sondern vor allem ihre transnationale Gültigkeit und Umsetzung, in der Staaten und Unternehmen über nationale Grenzen hinaus miteinander kooperieren.

 

Genauso deutlich wird aber auch, dass es bis zur Finalisierung noch einige Jahre dauern kann. Die Gewichtung der Menschrechte, insbesondere in Bezug auf die aktuelle Handelspolitik, scheint damit zwar zunehmend zu wachsen. Die Frage bleibt nur: Wie lange brauchen Politik und Wirtschaft, um diese notwendige Umwälzung auch faktisch umzusetzen? In der Zwischenzeit bleibt es also weiterhin an uns, als KonsumentInnen und Zivilgesellschaft, nachhaltigen Konsum zur fördern – und strukturelle Änderungen zu fordern.